Mein Erfahrungsbericht: Ein Update
Einige Wochen nahm ich 10 mg Flunarizin als Migräneprophylaxe. Davor hatte ich mit 5mg den Einstieg gewagt. Zunächst ging es mir ganz gut damit, was die Migräne betrifft.
Heute (ein gutes Jahr nach Einnahmestart) ist es Zeit für ein zwiegespaltenes Update mit Fazit.
Definitiv wurde unter Flunarizin die Migräne-Häufigkeit und Intensität spürbar weniger (von ca. 25 Tage/Monat auf 15-17 Tage im Monat). Vor allem die Schwindelanfälle und heftigen Hirnstammaura-Anfälle wurden seltener und harmloser. Ein Erfolg also?
JEIN.
Der Preis, den ich dafür zahlen musste, war unter’m Strich extrem hoch. Auf die Dauer zu hoch, wie ich heute sagen muss.
Was war das Problem?
Das Problem begann damit, dass ich schon in den ersten 4 Wochen der Einnahme 7 Kilogramm zugenommen habe. Es steigerte sich weiter bis auf 15 Kilogramm und mehr. In meinem Fall ist das eine mittlere Katastrophe. Um die 100 Kilo zu wiegen macht keinen Spaß und bringt gesundheitlich nur Nachteile. Alles wird allein deshalb schon viel schwerer. Das Problem vergrößert sich, wenn man unter genereller Erschöpfung leidet und jede Tätigkeit ohnehin schwieriger ist als für gesunde Menschen. Der Effekt: Ich lag praktisch nur noch im Bett. Zwar häufiger ohne Kopfschmerzen, aber im Grunde siechte ich noch mehr als vorher vor mich hin. Es kam eine Art Muskelstarrheit im Wechsel mit Zuckungen dazu. Jeder Schritt fühlte sich an, als ginge ich durch ein Meer aus Honig. Alles war langsamer und anstrengender. Leider übertrug sich dieses „Gebremst-Sein“ auch auf meine kognitiven Fähigkeiten. Zwar kenne ich schon immer den typischen „Brain-Fog“, der sich gerne zur Erschöpfung dazugesellt, aber unter Flunarizin konnte ich praktisch zusehen, wie meine Denkfähigkeit ebenfalls in einem Honigtopf versank. Das Ergebnis: Ich konnte nicht mal mehr Hörbücher hören, las nichts mehr, schaute nichts mehr im TV oder Internet, interessierte mich für gar nichts mehr. Es war mir irgendwann alles schlicht egal. Ich hatte keinen Antrieb zu irgendwas mehr. Fühlte mich wie „geistig verstümmelt“. Auch mein Blog verfiel in einen nunmehr einjährigen Dornröschenschlaf.
Natürlich redete ich mir gut zu, und versuchte, diese „Ruhe“ irgendwie für mich positiv zu deuten. Das ging ein paar Monate gut. Doch irgendwann schlichen sich immer mehr destruktive Gedanken und eine immer größer werdende Leere in mein Gehirn. Es gipfelte in Gedankengängen wie „Wozu bin ich eigentlich noch da? Is‘ doch egal, ob ich lebe oder nicht.“ – 🙁
Irgendwann musste ich einsehen: Ich hatte mir eine dicke depressive Episode gefangen. Mist. Ich wollte es die ganze Zeit nicht wahrhaben, aber der Beipackzettel hatte letztlich doch schon gezeigt, wohin die Reise gehen kann. Verdammt!
Weil ich nicht einsehen wollte, dass mir das Medikament, das mir so gute Dienste in Bezug auf die Migräne leistete, mich am Ende vielleicht umbringt, nahm ich es erst noch weiter. Halbierte erst mal die Dosis. Auch das ging wieder ein paar Monate gut. Bis ich mich dann irgendwann dabei erwischte, wie ich nur noch dalag und mir die Welt ohne mich vorstellte. Egal, wo ich hindachte, es war nichts mehr, was mich berührte, was mich interessierte, inspirierte und aus der Lethargie schubsen konnte. Das war zuviel. So ging das nicht weiter. Dazu diese Muskelverkrampfungen, -Zuckungen und „Verlangsamungen“.
Ich setzte Flunarizin also ab. Da das Medikament relativ lange im Organismus verbleibt, dauerte es etwa 4-5 Wochen, bis ich erste Veränderungen in den Muskeln und dem allgemeinen Befinden bemerkte. Die Schritte wurden langsam wieder leichter.
Das Gewicht habe ich noch nicht wieder im Griff, aber wenigstens verspüre ich diesen extremen Hunger auf Süßes nicht mehr – das erleichtert die Sache.
Meine täglichen Spaziergänge werden ebenfalls langsam leichter. Manchmal machen sie sogar Spaß.
Die Migränetage sind leider sofort wieder in die Höhe geschossen. Die üblichen 3-4 Tage am Stück Totalausfall. Aber ich zähle sie nicht mehr. Ich bin erst mal fertig damit. Will nicht wissen, wie viele Tage der Migräne zum Opfer fallen. Ich kann es offensichtlich eh nicht ändern.
Bis ich den Mut und die Kraft für einen neuen Prophylaxeversuch aufbringen kann, wird wohl noch viel Wasser den Rhein runterfließen … Jetzt versuche ich erst mal, mich wieder in meinem alten, migränegespickten Alltag einzufinden und die Zeit zwischen den Anfällen so sinnvoll und lebendig wie möglich zu verbringen.
Ob ich noch mal auf Flunarizin zurückgreifen würde? Vielleicht schon, wenn mich die Migräne wieder mal so im Schwitzkasten hat, dass mir die Leere wieder attraktiver erscheint. Unnötig zu erwähnen, dass ich es ungerecht finde, nur zwischen „Leere“ oder „Schmerz plus Nebeneffekte“ wählen zu können. Vielleicht überlegt sich das Universum mal, ob das alles so pädagogisch/psychologisch sinnvoll ist … 😉