TatüTaTa, die Migräne-Polizei ist da! – Siehst du denn auch krank genug aus, um wirklich krank zu sein?

Die „Migräne-Polizei“ ist ja grade mal wieder auf einigen SocialMedia-Profilen (z. B. bei Anni von migraene_du.arsch) unterwegs. Sie kontrolliert, ob wir auch wirklich alle schön krank aussehen und komatös in der Ecke liegen mit unserer Migräne.

Da ich (aufgrund einer Vielzahl medienuntauglicher Attribute) bei Insta und Facebook meist unterm Radar fliege und tatsächlich wegen meiner Erkrankungen (u. a. Migräne) oft nichts posten kann oder möchte, bin ich denen noch nicht aufgefallen. Trotzdem, oder gerade weil das so ist, möchte ich folgendes in den Ring werfen (vielleicht hilft es dem ein oder anderen, der meine Artikel liest, sich nicht mehr so „falsch“ oder zumindest nicht alleine zu fühlen):

Was ich schon alles mit Migräne (mind. Schmerzstufe 8) gemacht habe:

  • Küchenbank gekauft und geschleppt
  • Gartenbeet angelegt
  • Arztbesuche in 15 km Entfernung und mehr absolviert (selbst gefahren)
  • Kind ins Krankenhaus und Hund zum Tierarzt gebracht
  • Unkraut gezupft und Fugen ausgekratzt
  • Elternsprechtag gewuppt
  • Seminare/Messen besucht
  • Klausuren geschrieben
  • Fahrprüfung gemacht
  • zum Deich gefahren
  • Bücher geschrieben
  • Urlaubs- und Dienstreisen mit Auto, Flieger und Bahn unternommen
  • Bürotage, -wochen, -monate, -jahre ausgehalten
  • auf Beerdigungen gewesen
  • Umzugskartons gepackt
  • im Restaurant gewesen
  • Kindergeburtstag organisiert
  • Mini-Halloween-Indoor-Party gemanaged
  • 17 Stunden auf einer Nutzfahrzeug-Messe Teppiche gesaugt (für Geld)
  • Ski gefahren (wieder runter muss man ja immer)
  • an Schwimmwettbewerb teilgenommen (natürlich nix gewonnen)
  • Meerschweinchen-Gehege gereinigt
  • Laminat gelegt
  • Löcher in Wand gebohrt
  • Kübelpflanzen umgetopft
  • eingekauft
  • Plätzchen gebacken
  • getanzt, gesungen und gelacht
  • diesen Blogbeitrag geschrieben
  • und vieles mehr …

Das „Danach“ oder mit welchen Medikamenten an Bord, sieht man in diesen Momenten nicht. Juckt auch nicht. Es geht nämlich oft um nichts weniger als zu leben. Irgendwie das Leben festzuhalten, auch wenn man eigentlich nicht kann.

Vor allem Menschen mit chronischer Migräne , d. h. mit dauerhaft mehr als 15 Tagen Migräne im Monat, gehen manchmal über alle Grenzen (auch der Vernunft) hinweg, weil wir einfach manchmal müssen, keine Hilfe haben, oder so sehr wollen.

Manchmal nutzen wir die kleinen „leichteren“ Minuten oder Stunden dann für etwas Schönes, Wichtiges oder Unaufschiebbares. (Die Prioritäten legen wir da übrigens auch selber fest, anhand von subjektiven Kriterien, nicht nach anderer Leuts Vorstellungen.) Ja, manchmal verlängert das das Leiden oder löst neue Attacken aus. Aber das ist es meistens wert und geht nur eine einzige Person etwas an: uns selbst.

Wenn für die Leute von der Migräne-Polizei genug Leben übrig ist neben den Attacken: super! Das ist sehr schön für euch. Für manche (wie mich) reicht es nicht … und mein Lebenswille und Lebensdurst ist manchmal größer als alles andere. – Oft auch nicht, aber das kriegt dann keiner (außer der Familie) mit …

… und jetzt?

Wahrscheinlich erreiche ich diejenigen, die es lesen müssten, gar nicht, aber mir ist wichtig, dass es irgendwo geschrieben steht: Denk doch mal nach: wer kann entscheiden, wie deine Krankheit sich für dich anfühlt. Wer kann sagen, was in der einen Minute für dich funktioniert und was in der nächsten Minute nicht? Wer kann sagen, wie es sich für dich anfühlt, die Farbe Blau zu sehen? – Richtig: Nur du selbst.

Und wem nützt es was, wenn du andere mit deinen Maßstäben misst? – Richtig: Niemandem. Auch nicht dir selbst. Du wertest andere ab, um dich besser/richtiger/kränker zu fühlen … und wie ok ist das? … Merkse selber, nä?

Wenn du, lieber Mensch von der Migräne-Polizei, der Meinung bist, jemand ist nicht krank genug, um davon zu erzählen, wie er sich fühlt: ok. Aber du musst es nicht rausposaunen. Niemand braucht dich. Und niemand hat dich für diesen Job legitimiert – außer du selbst. Und es steht dir nicht zu, darüber zu urteilen, wie andere fühlen und (er-)leben. Aus ethisch-moralischen Gründen nicht, aber (wissenschaftlich betrachtet) vor allem aufgrund einer Sache, die man „Qualia“ nennt, nicht.

Was das ist, können am besten alle, die sich berufen fühlen, zu urteilen und zu werten, einfach mal ChatGPT fragen, dann seid ihr sinnvoll beschäftigt.

Alle anderen mit Migräne sollten die Migräne-Polizei einfach ignorieren und machen, was sie wollen, können oder müssen.

Und Womit? Mit Herz. Und Migräne.

Abfahrt.

Ein Kommentar

  1. Danke für diesen ehrlichen Text! Wer die Migräne-Polizei kennt, versteht genau was du schreibst. Es ist wichtig, dass man seine eigenen Grenzen und Bedürfnisse priorisiert, auch wenn es manchmal nicht leichtfällt. Deine Worte sind eine Erinnerung für uns Betroffene und auch für diejenigen, die uns begegnen. Stark formuliert!

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