Nocebo-Effekt: Wenn negative Erwartungen dich krank machen

Der Placebo-Effekt ist vielen bekannt: Eine harmlose Pille oder eine Scheinbehandlung mit Zuckerkügelchen kann manchmal genauso wirksam sein wie eine echte medizinische Behandlung. Aber kennst du auch den Nocebo-Effekt? Der Nocebo-Effekt beschreibt das Gegenteil des Placebo-Effekts: negative Erwartungen führen zu negativen Auswirkungen auf deine Gesundheit.

Was ist der Nocebo-Effekt?

Der Nocebo-Effekt tritt auf, wenn eine Person negative Erwartungen bezüglich einer medizinischen Behandlung oder eines Medikaments hat und dadurch negative Symptome erlebt. Dies kann beispielsweise geschehen, wenn jemand eine Liste mit den potenziellen Nebenwirkungen eines Medikaments liest und daraufhin eine Reihe von Symptomen erlebt, die tatsächlich nicht durch das Medikament verursacht werden. Der Nocebo-Effekt kann auch bei operativen Eingriffen oder anderen medizinischen Behandlungen auftreten, bei denen die Patienten befürchten, dass sie Schmerzen oder unerwünschte Nebenwirkungen erfahren werden.

Medieninduzierter Nocebo-Effekt

Berichte in den Medien über potenzielle Gesundheitsrisiken oder gefährliche Auswirkungen einer bestimmten Substanz oder Behandlung können den Nocebo-Effekt verstärken. Wenn Menschen solche negativen Informationen aufnehmen, können sie Angst oder Sorge entwickeln und dadurch Symptome erfahren, die mit den gemeldeten Nebenwirkungen in Verbindung gebracht werden. Beispielsweise könnten Personen, die in den Nachrichten oder Social Media von den negativen Auswirkungen eines bestimmten Lebensmittels hören, nach dem Verzehr dieses Lebensmittels unerklärliche Beschwerden verspüren, obwohl es keine objektiven Beweise für eine direkte Verbindung gibt.

Für mich eine der plausibelsten Erklärungen, warum in bestimmten sozialen Gruppen gehäuft über “Laktoseintoleranz”, “Glutenunverträglichkeit” oder andere Empfindlichkeiten geklagt wird. Damit sage ich nicht, dass die Beschwerden nicht da sind – die Frage ist nur: Warum?

Studien

Es gibt mittlerweile viele Studien, die sich mit dem Phänomen des Nocebo-Effektes beschäftigen.

Darin stellte man beispielsweise fest, dass Patienten stark empfänglich sind für negative Suggestionen, vor allem in als existenziell bedrohlich erlebten Situationen, wie zum Beispiel einer Operation, einer akuten schweren Krankheit oder einem Unfall. In Extremsituationen befinden sich Menschen häufig in einem natürlichen Trancezustand, der sie anfällig macht für Missverständnisse durch wortwörtliches Verstehen, doppeldeutige Worte und negative Suggestionen.

Eine Studie bei radiologischen Punktionen zeigte beispielsweise, dass Angst und Schmerz der Patienten verstärkt wurden, wenn in der Ankündigung der Maßnahme oder mitfühlenden Äußerung negative Worte wie „stechen“, „brennen“, „wehtun“, „schlimm“ oder „Schmerz“ enthalten waren.

(Quelle: https://www.aerzteblatt.de/archiv/127205/Nocebophaenomene-in-der-Medizin)

Wie funktioniert der Nocebo-Effekt?

Der Nocebo-Effekt funktioniert auf ähnliche Weise wie der Placebo-Effekt, indem er das Gehirn beeinflusst. Wenn eine Person negative Erwartungen hat, aktiviert dies das sympathische Nervensystem, das eine “Kampf- oder Fluchtreaktion” auslöst. Dies kann zu einer erhöhten Freisetzung von Stresshormonen wie Cortisol und Adrenalin führen, die wiederum die körperlichen Symptome verstärken können. Auf diese Weise können negative Erwartungen tatsächlich dazu führen, dass eine Person Symptome entwickelt, auch wenn es keine physiologischen Grundlagen für diese Symptome gibt.

Ich persönlich halte auch den sogenannten Weißkittel-Bluthochdruck (unter dem ich schon leide seit ich denken kann) zumindest teilweise für einen Nocebo-Effekt. Die Angst vor dem erwarteten, gleich angezeigten hohen Wert und der damit einhergehenden Falschbeurteilung führt (als Stressreaktion) dazu, dass der Blutdruck tatsächlich ansteigt.

Wie kann man den Nocebo-Effekt vermeiden?

Für medizinisches Personal gibt es verschiedene Möglichkeiten, den Nocebo-Effekt zu vermeiden oder zumindest zu minimieren. Eine Möglichkeit besteht darin, den Patienten eine realistische und ausgewogene Aufklärung über die potenziellen Nebenwirkungen einer medizinischen Behandlung oder eines Medikaments zu geben, ohne unnötige Angst und Sorgen zu schüren. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Patienten auf positive Aspekte ihrer Behandlung aufmerksam zu machen, um positive Erwartungen zu fördern und den Nocebo-Effekt zu minimieren.

Hier wird jedoch eine Schwierigkeit klar: Ein Arzt ist prinzipiell zur Aufklärung über Risiken eines Medikamentes verpflichtet. Kommt er dieser Verpflichtung allzu detailliert nach, erhöht er damit die Chance auf Nebenwirkungen.

Dennoch gibt es verschiedene Möglichkeiten, dem Nocebo-Effekt entgegenzuwirken:

1. Realistische Aufklärung:

Eine realistische Aufklärung über die möglichen Nebenwirkungen und Risiken einer medizinischen Behandlung oder eines Medikaments ist wichtig, aber es sollte vermieden werden, unnötige Angst und Sorgen zu schüren.

2. Positive Erwartungen fördern:

Es ist wichtig, Patienten auf positive Aspekte ihrer Behandlung aufmerksam zu machen und positive Erwartungen zu fördern, um den Nocebo-Effekt zu minimieren. Wichtig ist auch die Wortwahl.

3. Vertrauen und Unterstützung:

Das medizinische Personal kann durch eine empathische und unterstützende Kommunikation das Vertrauen der Patienten stärken und somit dazu beitragen, dass sie positiver gestimmt sind und weniger negative Erwartungen haben.

4. Ergänzende Therapien:

Ergänzende Behandlungen, wie zum Beispiel Hypnose oder Entspannungsverfahren, können dazu beitragen, den Nocebo-Effekt zu minimieren.

Was kann ich selbst tun?

Eine Mögliche Lösung bei der Einnahme von Medikamenten, ist es, den Beipackzettel nur von Angehörigen lesen zu lassen, die mit dir zusammenleben. Im Falle von schwerwiegenden Nebenwirkungen kann so ggf. trotzdem entsprechend gehandelt und medizinisches Personal über die Medikamenteneinnahme informiert werden.

Vor medieninduziertem Nocebo-Effekt kann ich mich unter anderem schützen, indem ich meine Quellen von Zeit zu Zeit kritisch hinterfrage und gezielt nach anderslautenden Informationen suche. Nicht selten stellen wir dabei fest, dass wir einem Irrtum oder gar einem Scharlatan aufgesessen sind. Die Schwierigkeit besteht natürlich darin, eigene Fehlannahmen (vor sich selbst und eventuell auch vor anderen) zuzugeben. Dabei hilft die Erkenntnis, dass unser Körper kein statisches Konstrukt ist und sich auch mit der Zeit und den Lebensumständen verändert (z.B. durch hormonelle Einflüsse oder Alterungsprozesse). Beispiel: Was mir vor 10 Jahren noch Pickel beschert hat, hilft mir heute vielleicht dabei, die Feuchtigkeit in der Haut zu halten.

Auch unsere (medienvermittelten) Glaubenssätze sollten wir immer mal wieder auf den Prüfstand stellen: Das Stück Schokolade, das “immer” eine fette Migräneattacke beschert, schafft das heute vielleicht mal nicht, weil ich gerade gestern schon eine Attacke hinter mich gebracht habe. Es ist immer einen Versuch wert, die eigene Beeinflussung von Medien zumindest für möglich zu halten und hin und wieder angenommene Unverträglichkeiten bewusst (aber vorsichtig) zu ignorieren, um (wieder) ein realistisches Bild von seinen Körperreaktionen zu bekommen. Manchmal hilft es auch, sich klarzumachen, dass so manches “verteufelte” Lebensmittel wichtige Nährstoffe und/oder Vitamine und Mineralstoffe liefert oder über den Genusswert positiv auf unsere mentale Verfassung wirken kann.

WICHTIG: Beim Ausprobieren bitte immer den Verstand aktivieren. Eine diagnostizierte Erdnuss-Allergie sollte niemand probeweise ignorieren!

Fazit

Insgesamt ist es wichtig, den Nocebo-Effekt zu berücksichtigen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die negativen Auswirkungen auf die Gesundheit zu minimieren. Eine ausgewogene Aufklärung, die Förderung von positiven Erwartungen und die Unterstützung durch medizinisches Personal können dazu beitragen, den Nocebo-Effekt zu minimieren und eine erfolgreiche Behandlung zu ermöglichen. Hier sind also vor allem die Ärzte, aber auch wir selbst gefragt, uns nicht vom Beipackzettel oder irgendwelchen Influencern “bekloppt” machen zu lassen.

Buchtipps:

Wenn Du mehr über den Nocebo-Effekt wissen willst, habe ich die folgenden Buchtipps für dich:

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