Eine Posttraumatische Belastungsstörung zu haben ist nie schön. Wenn man sie in Verbindung mit medizinischem Handeln aller Art triggern kann, werden unschöne Situationen gerne zum kompletten Horror. Leider habe ich mal wieder alles abbekommen, was man dann so abbekommen kann.
Aber von vorne. Was war denn da los?
Aaaaaaalso:
An einem Dienstag morgen um ca. 4 Uhr lande ich mit Nierenkoliken in der Notaufnahme einer Klinik um die Ecke (Krankenhaus 2). Schon 2 Woche zuvor hatte ich ein ähnliches Vergnügen in einer Klinik (Krankenhaus 1), die etwas weiter weg von zuhause liegt. Dort hatte man mich ebenfalls mit Nierenkoliken des nächtens eingeliefert und mich einen Tag später wieder entlassen, damit man auf Godot (so nenne ich meinen Nierenstein) daheim warten könne – der solle in ein paar Tagen schon von alleine rauskommen. Ich pinkelte fortan durch ein Mehlsieb und wartete. Der gute Godot wollte aber (ganz wie es sein Name vermuten lässt) auch nach 2 Wochen noch nicht “rübermachen” oder besser “rausmachen”, sondern lieber wieder Stunk und Höllenschmerzen. – Das war Enttäuschung Nr. 1 verbunden mit Angst.
Im Krankenhaus 2 sagte mir Arzt 1: “Das ist kein Problem. Wir holen den Stein jetzt da raus und danach kann es sein, dass sie so eine Harnleiterschiene bekommen, falls da alles zugeschwollen ist.”
OK. Vielleicht errinnere ich das auch nur nicht mehr so ganz gut, wegen der Schmerzmittel, die man mir gab (Dipidolor, weil ich das bei Nierensteinen wesentlich potentere Novalgin nicht vertrage).
Es folgte am selben Tag nachmittags eine kleine Not-OP unter Vollnarkose. Mir war alles egal, Hauptsache diese Schmerzen hörten auf und der scheiß Stein fliegt raus, dachte ich. Im Aufwachraum war dann auch meine erste Frage: “Ist der Stein raus?” Schwerst enttäuscht war ich dann, als man mir sagte: “Nein, es wurde nur eine Schiene gelegt.” – Das Martyrium geht also weiter, orakelte ich, weil weh tat das auch immernoch. – Das war Enttäuschung Nr. 2. Da fühlte ich mich schon irgendwie übergangen. Ein Arzt kam am späten Nachmittag in mein Zimmer und erklärte in ca. einer halben Minute: “Ja, nee, den Stein haben wir wieder nach obn ins Nierenbecken geschoben. Jetzt bleibt die Harnleiterschiene 2 Wochen drin und dann machen wir die Steinsanierung.” – Bum. Ich war ziemlich fertig. Das hatte ich so nicht verstanden. 2 Wochen in diesem Zustand konnte ich mir schlecht bis gar nicht vorstellen.
Dann wurd’ es sehr schwierig für mich. Wir erinnern uns: Ich habe eine komplexe Posttraumatische Belastungsstörung, Angst- und Panikstörungen und ein komplett kaputtes Schmerzverarbeitungssystem. Bis dahin hielt ich aber noch vergleichsweise tapfer durch.
40,1 Grad?!
Dann passierte eine Kleinigkeit, die meine Psyche kurz aber heftig anditschte: Eine sehr liebe Pflegeschülerin kam herein, um die Temperatur zu messen. Ich fühlte mich zwar matschig nach der Narkose, aber eigentlich noch ganz ok für meine Verhältnisse. Dann piepste das doofe Thermometer auf einmal wie wild und zeigte lockere 40,1 Grad an! Ich dachte, mich tritt ein Pferd. Vor meinem inneren Auge spielten sich dramatische Szenen ab. Die Schülerin war ebenfalls zeimlich erstaunt bis erschrocken. Wir hielten das Thermometer nochmal ins andere Ohr: Das gleiche Ergebnis.
Die Schülerin ging schnellen Schrittes zu den Schwestern, um diese offensichtliche Hyperthermie schnellstmöglich zu melden. In der Zwischenzeit bahnten sich erste leise Todesängste ihren Weg und ich fing langsam an, zu verkrampfen. Das tat weder dem Blasenkatheter noch der Harnleiterschiene gut und beide machten Theater, was ich in Form von Schmerz zu spüren bekam. – Das war Schreck Nr. 1 verbunden mit einer noch größer werdenden Angst.
Die Pflegeschülerin kam wieder rein: Das Thermometer wäre kaputt, das wüssten alle – außer ihr.
Ich sagte, dass ich schlimme Schmerzen hätte. Sie gab es weiter. Mir gab man nach einer halben Stunde eine Paracetamol-Infusion, die absolut keine Wirkung hatte. Im Gegenteil. Es schmerzte immer mehr. Und mehr. Plötzlich brannte und schmerzte es so sehr, dass sich alles zusammenzog. Eine Minute später lief die Pipi blutig aus mir heraus ins Bett. – Schreck Nr. 2. Ich bekomme richtig Panik.
Panik
“Das kann doch alles nicht normal und richtig sein”, dachte ich und klingelte wieder um Hilfe. Die Pflegeschülerin schaute wieder rein und eilte zu den “richtigen Schwestern” – sie selbst war erst den 2. Tag da und kannte sich mit Patienten nach einem solchen Eingriff nicht aus. Kurze Zeit später kam sie mit neuer Bettwäsche und einer Inkontinenzunuterlage wieder rein. Sie sollte mir sagen, das sei alles ganz normal.
Während sie mein Bett bezog, saß ich nun inkontinent und schweißgebadet auf meinem roten Kunstledersesselchen. Dann ging es los: Ich fing an zu krampfen und zittern. Es schüttelte mich vor Angst und Weinkrämpfen. Ich konnte das nicht mehr aushalten. Ich hatte das Gefühl, meine Blase und der Harnleiter nebst Niere explodieren gleich. Die Schülerin hatte Mitleid und versuchte mich zu trösten. Sie half mir, mich wieder ins Bett zu legen. Dort ging es weiter mit den Zitterkrämpfen. Der Schweiß lief mir jetzt in Strömen vom Kopf und Körper. Ich wußte nicht mehr ein noch aus vor Schmerzen und dann kickte die kPTBS richtig: Ich weinte und wimmerte um Hilfe und entschuldigte mich in einer Tour für alles, flehte in die Luft, man möge mir doch glauben. “Mein, Gott, was hat man Ihnen denn angetan, dass sie jetzt sowas erleben müssen? – Ich glaube Ihnen. 100-prozentig”, sagte die Pflegeschülerin und sicherte zu, jetzt noch mal Hilfe zu holen.
Ein paar Minuten später kam sie wieder rein, mit einer Schwester, die eine andere Infusion in der Hand hielt und sagte: “Jetzt wird es gleich besser”. Die richtige Schwester war nun wohl auch sichtlich beeindruckt von meinem Zustand und beeilte sich beim Anhängen der Infusion. Ich zitterte und schwitzte weiter. Dabei weinte und wimmerte ich weiter. “Ich hab solche Schmerzen und jetzt auch Angst, dass mir keiner glaubt!”
Schmerz und Angst
Die Zentren für Schmerz und Angst liegen im Gehirn übrigens sehr nah beieinander – das bekam ich grade richtig zu spüren. Ich war komplett am Ende und dem Wunsch, mich dem ganzen durch Ableben zu entziehen, nicht mehr so fern wie sonst. Das erschreckte mich zutiefst. Wenn man mich doch nur von Anfang an ernst genommen hätte und mir geglaubt hätte, dass ich anders und viel schneller Schmerzen empfinde als andere. Aber man hat es (wie immer) unterschätzt, was ich in meiner Patientenmappe notiert habe. Die Unverträglichkeiten und die Wirbelsäulenschäden beachtete man stets genau, die psychischen und neurologischen wenn überhaupt nur nachrichtlich.
So schwitzte und weinte ich mich langsam in eine Art Dämmerschlaf. Der Katheter war weiter undicht, ich lag in Pampershose in der Brühe. Wollte nur noch, dass alles vorbei war.
Am nächsten Morgen schaute ein Arzt, den ich noch nicht kannte, kurz herein. Ich bat ihn flehend, dass dieser Katheter raus kommt. Ich konnte nicht mehr. Die Schmerzmittel von gestern wirkten nicht mehr. Der Arzt sicherte zu, dass der Katheter dann heute raus kam. Ich biss die Zähne zusammen, dachte, dass die Schwester ja dann gleich kommen wird, um mich zu befreien.
Es passierte dann wieder stundenlang nichts. Am späten Vormittag klingelte ich (ich will ja nicht ungeduldig sein). Und fragte, wann der Katheter denn jetzt gezogen wird. Die Schwester sagte: “Ja, morgen!” Ich: “Nein, der Doktor war doch vorhin hier und hat gesagt, heute kommt der raus.” Die Schwester wollte in der Akte nachsehen. Kam nach einer halben Stunde wieder rein, sagte: “Tja, er hat zwar was aufgeschrieben aber nicht unterschrieben. Das können wir dann nicht machen.” Es gab wieder ein Hin und Her. Sie ging wieder raus. Ich rief meinen Mann an. Notfalls musste er kommen, und denen hier Bescheid geben, dass das so nicht geht. Ich hatte Schmerzen bis zum gehtnichtmehr und es lief mir neben dem Katheter und der Pampers die Beine runter.
Jetzt sah ich langsam rot. Wieder klingelte ich. Ich konnte mich kaum im Zaum halten und sagte (wieder schwitzend, weinend und latent hysterisch): “Das Ding kommt jetzt sofort da raus. Ich habe das mit dem Doktor hier besprochen, ich spinn’ doch nicht! Mein Mann hat das sogar am Telefon mitbekommen. Und deshalb kommt das jetzt sofort hier raus. Ich unterschreibe dafür alles, was Sie brauchen oder ich zieh mir das selber hier raus!” – Das hab ich bitterernst gemeint. Die Schwester versprach, nochmal den Arzt zu fragen. Wieder eine halbe Stunde später (ich hatte gerade völlig aufgelöst auf Youtube geschaut, wie man einen Katheter zieht) kam die Schwester wieder rein. “Ich zieh Ihnen den jetzt! Der Oberarzt hat ok gesagt. Der unterschreibt auch.”
Ich wäre ihr am liebsten um den Hals gefallen. Stattdessen lag ich nassgeschwitzt und verweint wieder nur da. Wenigstens hatte ich jetzt eine trockene Hose an und eine Vorlage für sich rausmogelnde Tröpfchen. Nachdem das Katheter-Ding raus war, spürte ich auch wieder den Rest von mir etwas besser. Leider auch die Harnleiterschiene. Aber das ist eine andere Geschichte, die ich das nächste Mal erzähle …
PS: Das Zittern an sich ist bei mir gar nichts Schlimmes. Seit einiger Zeit übe ich schon das “Neurogene Zittern” (auch TRE) als Stressverarbeitungshilfe aus. Wenn Du mehr darüber wissen möchtest, kann ich ein Buch empfehlen: “Neurogenes Zittern” von von Hildegard Nibel und Kathrin Fischer.*
Guten Morgen liebe Tanja,
ich wünsche Dir gute Besserung und hoffe,
dass alles bald wieder in Ordnung kommt.
LG
Danke, Bianca!
Mittlerweile sind ein paar Wochen vergangen und es geht mir wieder etwas besser. Soviel sei schon gespoilert: Zwischenzeitlich ist Godot raus. Mit dem Rest muss ich noch klarkommen – und das werde ich auch. 🙂
Alles Liebe für Dich!