Warum Migräne auch nach 45 Jahren noch Angst machen kann – und was das mit unserem Nervensystem zu tun hat
Im Blog war es jetzt länger ruhig – das hatte Gründe. Meine alte „Freundin“ Migräne wollte mal wieder das Zepter übernehmen. Das ist ihr auch gelungen. Mit ein paar miesen Tricks (neue Symptome), schiefgelaufenen Prophylaxe-Versuchen und im Windschatten von anderen Katastrophen (menschlicher und hormoneller Art). Und immer öfter hat sie ihre Bekannte mitgebracht: Angst, die olle Zippe.
Wir erinnern uns: Seit über 45 Jahren habe ich Migräne. In allen Varianten: Mit Aura, ohne Aura, mit Kopfschmerz, ohne Kopfschmerz und als Schwindel (vestibuläre Migräne). Man sollte meinen, ich hätte mich längst daran gewöhnt. Aber dann kommen wieder irgendwelche nicht ganz eindeutigen oder sogar neue Symptome – oder nur ein erstes leises Ziehen oder Schummrigsein – und die Angst ist plötzlich da. Wie aus dem Nichts.
Vielleicht kennst du das auch.
Dieses Zittern im Hintergrund. Diese Unruhe, die sich breitmacht, noch bevor der Schmerz oder andere eindeutige Symptome überhaupt richtig da sind. Vielleicht fragst du dich, warum das immer noch so ist – ich frage mich das dauernd. Warum der Kopf „Ich weiß doch, wie das läuft“ denkt – und der Körper trotzdem Alarm schlägt. Der Verstand weiß längst bescheid: „Migräne incoming … “ – aber Körper und Seele fühlen sich an, als wär das Ende nah.
Die Antwort liegt offenbar in unserem Nervensystem.
Nicht im Kopf. Nicht im Verstand. Unser Nervensystem speichert Erfahrungen auf seine eigene Weise. Wenn du eine schwere Migräneattacke erlebst, wird das nicht nur als Erinnerung abgelegt wie ein Fotoalbum: „Damals, auf Seite 23, da war dieser schlimme Tag.“ Nein. Es wird gespeichert wie ein großer Feueralarm: Gefahr! Schmerz! Achtung!
Und unser Nervensystem ist schnell. Viel schneller als unser Denken. Ein kleiner Reiz – ein Flackern im Auge, ein Schwindelmoment – das reicht oft aus, und das ganze Alarmsystem eskaliert. Noch bevor du überhaupt bewusst darüber nachdenken kannst.
Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, dass das nichts mit Schwäche zu tun hat. Und auch nichts damit, „falsch programmiert“ oder „zu blöd“ zu sein. Sondern damit, dass der Körper mich schützen will. Und das heißt eben manchmal, dass er ein bisschen übervorsichtig wird und übertreibt.
Kann ich heute besser damit umgehen als früher?
Manchmal ja, manchmal nein. Manchmal kann ich dann einfach atmen, mich mit ein paar einfachen Übungen oder Bodenkontakt-Spüren erden, meinem Körper signalisieren: „Ich sehe dich. Ich passe auf. Es ist okay.“ Manchmal gelingt mir selbst das nicht.
Aber vielleicht ist genau das der Punkt. Nicht zu erwarten, dass die Angst nie wiederkommt, sondern ihr so oft es geht die Macht zu nehmen. Sie nicht sofort als Gegner zu sehen, sondern als Teil von uns. Als Ausdruck eines Körpers, der einfach nur sein Bestes gibt. Und nicht zu verzweifeln, wenn es wieder mal nicht funktioniert, „cool“ zu bleiben und die Angst einfach durch uns durchzulassen.
Ich möchte diesen Beitrag nutzen als kleine Erinnerung an dich, aber auch an mich selbst: Wenn du das nächste Mal merkst, dass die Angst wieder da ist – vielleicht kannst du sie ein kleines bisschen anders anschauen. Nicht als Feind. Sondern als Echo eines alten Überlebensprogramms, das dich nicht schwächen will, sondern schützen.
Mit ein bisschen Glück reicht es vielleicht zu wissen, dass wir schon so viele Attacken überstanden haben. Dass unser Körper vielleicht ängstlich ist – aber es nicht bedeutet, dass wir aufgeben müssen.