Corona / Covid-19: Wen wir wirklich am meisten schützen müssen

Natürlich geht es auch in meinem Blog heute mal um Corona. Allerdings nur mittelbar. Bevor ich meine kostbare Energie nun für die Anprangerung der Scheinheiligkeit und Heuchelei unserer ach so engagierten Politiker raushaue (da ist sowieso Hopfen und Malz verloren), möchte ich auf einen Aspekt eingehen, der mir in den Medien zurzeit etwas zu kurz kommt:

Schützt die Alten?

Die Alten müsse und wolle man schützen – tönt es an jeder Ecke. Deshalb sollen die dann demnächst alle in ihren Heimen hocken bleiben, während die Leistungsträger und Jungspunde möglichst bald wieder ins Nagelstudio ihrer Wahl gehen dürfen sollen – die Wirtschaft darf ja nicht so leiden. Der Rubel muss bald wieder rollen, sonst war’s das mit dem Wohlstand für alle. Mimimi.

Da zeigt sich dann, wie weit weg die von der Realität der über 70-Jährigen unserer Zeit sind. Die sitzen nämlich nicht überwiegend in Heimen rum. Und wenn, dann werden die Menschen da nicht einfach nur gelagert und nach Bedarf rein- oder rausgetrieben wie das liebe Vieh. Diese Menschen wohnen da. WOHNEN. So wie wir Jüngeren auch in unseren Wohnungen und Häusern. In einem Heim zu wohnen, bedeutet nicht, seine Eigenschaft als Bürger dieses Landes eingebüßt zu haben. Wie für jeden anderen Bürger auch, bleiben die Rechte für die Bewohner eines Heimes selbstverständlich und völlig zu Recht die gleichen, als wenn sie im eigenen Bungalow wohnen würden. Diese Menschen kann man doch nicht einfach alle aufgrund ihres Alters und der Wohnart wegsperren, während Jüngere (oder nur die mit Eigenheim) sich draußen die Sonne auf den Wanst scheinen lassen und sich des Lebens freuen können.

Es sind auch nicht per se die Alten, die wir am meisten schützen müssen. Die allermeisten von ihnen sind alt und somit auch lebenserfahren genug, um sich selbst zu schützen, oder selbst zu entscheiden, wie viel Schutz sie möchten. Nur weil ein Mensch alt ist, bedeutet es nicht, dass wir Jüngeren darüber entscheiden dürfen, wie sie leben sollen – und seien die Motive auch noch so nobel. Alte werden nicht automatisch mit dem Alter zu Idioten – die meisten jedenfalls nicht. Sicher gibt es welche, die die Lage nicht ganz begreifen und sich und andere damit eventuell gefährden. Was für sie getan werden kann, muss man im Einzelfall sehen.

Schützt die Kinder!

Ich finde es viel wichtiger, sich um die zu kümmern, die ihrer Umwelt, ihren Familien und der Gesellschaft wirklich schutzlos ausgeliefert sind: die Kinder. Dabei geht es mir nicht in erster Linie um den Schutz vor dem Virus. Viel, viel, viel gefährlicher ist die Tatsache, dass wir Kinder aus Problemfamilien (und solchen, die es unter diesen Umständen werden könnten) jetzt noch viel weniger schützen können.

Das Leid der Kinder, die gewalttätigen Übergriffen durch Familienmitgliedern ausgeliefert sind, wird noch viel unsichtbarer – und das ist brandgefährlich! Das „Aufeinanderhocken“ und „Nicht-weg-Können“, wirkt in vielen Familien jetzt wie ein Brutschrank der Gewalt.

Deshalb mein Appell: Schaut und hört nicht weg!
Im Gegenteil: Schaut besonders gründlich und hört genau hin.

Kinder brauchen Helfer

Jeder, der als Kind die Erfahrung von gewalttätigen Übergriffen gemacht hat, weiß, wie wichtig es ist, Hilfe von außen zu bekommen. Wie wichtig aufmerksame Menschen sind, die sich für einen einsetzen, Menschen, die die Täter in gewissem Maße unter sozialer Kontrolle halten. Menschen die sich einmischen, und die gegebenenfalls den Mut haben, weitere Schritte einzuleiten, die Kinder schützen durch ihre Einmischung.

Das alles ist in Corona-Zeiten noch schwieriger als im normalen Alltag. Es gibt keinen Kontakt zu Lehrern oder Erziehern, die die Situation der Problemfamilien kennen und ohnehin wachsam sind. Es gibt keinen Austausch mit anderen. Eltern sind mit der Situation noch mehr überfordert als sonst und aus Überforderung entsteht oftmals Aggression und Gewalt. Hinzu kommt: Nicht jeder hat am Klingelschild „Problemfamilie“ stehen. Kinder werden auch in Bilderbuchfamilien geschlagen und physisch und psychisch missbraucht. Von Menschen, die nach außen hin freundlich und normal wirken. Sobald die Wohnungstür zu ist, geht es dann los.

Klar, es ist ganz normal, dass sich der Umgangston in der Familie mal verschärft. Gerade, wenn wir keine Freiräume mehr haben. Natürlich ist auch nicht jede (auch lautstarke) Auseinandersetzung innerhalb einer Familie gleich der Startschuss für eine handfeste Prügelei. Oft schaukeln sich die Dinge aber auch hoch. Zuerst wird „nur“ die Frau „mal im Affekt“ geschubst, aber beim nächsten Mal vielleicht der 10-Jährige, der die Mama beschützen will, oder den emotional von Haus aus instabilen Papa mit seinen Bedürfnissen „provoziert“. Schon mit Schubser Nr. 1 ist eine wichtige Grenze überschritten. Allein die Schäden am kindlichen Stressverarbeitungssystem, die solche Übergriffe auslösen können (und seien sie nur beobachtet) sind immens.

Nicht Deine Baustelle … ?

„Betrifft mich nicht?“, denkt manch einer. Das ist nicht ganz richtig. Auch wer nicht direkt betroffen ist, wird früher oder später für die misshandelten Kinder von heute zumindest mittelbar einstehen müssen. Nämlich dann, wenn sie als kranke Erwachsene von morgen unsere Gesellschaft schwächen – wenn sie es denn bis ins Erwachsenenalter schaffen. Kinder schützen, heißt auch die Gesellschaft schützen. Wir alle tragen die Verantwortung für die nachfolgenden Generationen, auch für Nachkommen, die wir nicht selbst gezeugt oder geboren haben.

Deshalb nochmals: Bitte schaut nicht weg. Wendet euch gegebenenfalls an die Jugendämter oder den Kinderschutzbund, wenn ihr nicht wisst, was ihr tun sollt oder könnt. Manchmal kann schon ein Zettel mit wichtigen Telefonnummern (siehe unten) im Briefkasten der Familien oder am schwarzen Brett der Wohnanlage etwas bewirken und die Kinder schützen.

Auch der sozialpsychiatrische Dienst der Städte und Kommunen hilft weiter. Im Zweifel ruft direkt die Polizei. Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig, denn nichts ist schlimmer als die Stille, die einzieht, wenn die Kinderseele zum Schweigen gebracht wurde!

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Wichtige Telefonnummern und Internetadressen:

  • Kinderschutzbund: www.dksb.de
    (Weitere Infos und konkrete Hilfsangebote)
  • “Nummer gegen Kummer”
    für Kinder und Jugendliche –> Telefonnummer 11 6 111 oder 0800 111 0 333

    Ein Angebot, in dem sich Kinder und Jugendliche anonym zu ihrer Situation beraten lassen können – bundesweit, kostenfrei und anonym über Telefon, E-Mail und online über eine Chatfunktion www.NummerGegenKummer.de
    Montag – Samstag: 14 Uhr – 20 Uhr
  • Elterntelefon: 0800 111 0 550
    Das Elterntelefon der Nummer gegen Kummer berät und hilft Eltern
    Montag – Freitag: 9 Uhr – 11 Uhr
    Dienstag – Donnerstag: 17 Uhr – 19 Uhr
  • Verband der Alleinerziehenden: Krisennummer 0201 82774799
  • Hilfetelefon Sexueller Missbrauch: Telefon: 0800-22 55 53
  • Online-Suche zuständiges Jugendamt:  https://familienportal.de/action/familienportal/125008/action/suche
  • Online-Beratungsstellensuche: https://www.bke.de/05E-740-CC1-1F1/
  • Kinderschutzbund vor Ort: https://www.dksb.de/de/dksb-vor-ort/

2 Kommentare

  1. Ja, wie recht Du hast – erst unlängst habe ich auf meinen Blog mitgeteilt, dass in Bayern 2 Alleinerziehende mit ihren Kindern zusammen spazieren gingen und von der Polizei in Bayern mit je einem Bußgeld von 250 Euro verknackt wurden…. das ist wirklich überzogen, ausgerechnet die Alleinerziehenden wieder, die mit allem allein zurechtkommen müssen und der Umgang nur mit Kindern zerrt schon an den Nerven, wenn man die in der Wohnung halten muss – tag und nacht – seit Wochen….

    • Danke für Deinen Kommentar, Melina! Ich habe auch noch das Krisentelefon vom Verband der Alleinerziehenden ergänzt.

      Du hast vollkommen Recht: Wenn man es den Alleinerziehenden noch schwerer macht als es eh schon ist, trägt das garantiert nicht zum Kindeswohl bei …

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